3. Linguistischer Nachwuchsworkshop (LiNaWo)

Synergien aufdecken – Effekte erzielen

Zwischen dem 7. und 10. Juni hatte die Partneruniversität Warschau zum 3. Linguistischen Nachwuchsworkshop (LiNaWo) eingeladen. Sechs sprachwissenschaftliche Lehrstühle prä­sentierten ihre Zuschnitte, gaben Einblicke in laufende Forschungsprojekte und skizzierten mittelfristige Perspektiven. Der Gastgeber Prof. Sambor Grucza (Institut für Fach- und In­terkulturelle Kommunikation) betonte in seiner Einführung die Vorteile lehrstuhlübergreifen­der und län­derübergreifender Kooperationen: Kräfte können gebündelt und Phänomene aus ganz unter­schiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Um Synergie-Effekte erzielen zu kön­nen, müs­sen aber zunächst die gemeinsamen Interessen identifiziert werden, wozu die ein­zelnen Beiträge die Grundlagen lieferten.

Prof. Ingo Reich und Jessica Schmidt (Lehrstuhl für Semantik und Pragmatik) skizzierten in zwei Vorträgen die Bandbreite ihres Forschungsbereichs: auf der einen Seite grammatik­nahe Fragestellungen, etwa die Untersuchung von Ellipsen. Die grammatischen „Fragmente“ werden von Hörern und Lesern verstanden, indem sie situative, sprachliche und enzyklopä­dische Wissensbestände nutzen. Wie sich der Verständnisprozess modellieren lässt, wird in Saarbrücken auch experimentell erforscht. Auf der anderen Seite z. B. die pragmatische Frage, wie Emotionen in (mündlichen und schriftlichen) Alltagsinteraktionen ausgedrückt werden. Unbe­stritten ist, dass die emotionale Botschaft nicht durch die wört­liche Be­deutung repräsen­tiert werden muss, sondern zwischen den Zeilen kodiert werden kann. Aussagen zu den genutz­ten sprachlichen Verfah­ren stehen aber noch ganz am Anfang.

Wie sich das Verhältnis von Semantik und Grammatik aus grammatischem Blickwinkel ge­staltet, analysierten Prof. Augustin Speyer und Sophia Voigtmann (Lehrstuhl für Systematik und Grammatik). Während die grundsätzlichen Wortstellungsmög­lichkeiten im Deutschen geklärt sind, lässt sich bisher nicht verlässlich sagen, warum sich Sprachbe­nutzer für eine bestimmte Variante unter mehreren entscheiden. Aus korpus­linguistischen Untersu­chungen geht hervor, dass semantische Pa­rameter (wie Agens oder Rezipient) die Auswahl steuern und dass sich die Präferenzen im Lauf der Zeit ändern kön­nen.

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen werden aufgenommen vom Saarbrücker Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache. Prof. Stefanie Haberzettl wurde vertreten von ihren Mitarbei­terinnen Sandra Steinmetz und Magdalena Wojtecka, die über das Projekt „Starke Mädchen – Starke Frauen“ berichteten. Tatsache ist: Junge Frauen mit Migrationshintergrund sind beim Zugang zur Sprachförderung benachteiligt. Deshalb werden für sie spezielle Angebote organisiert, wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Mit den Ergebnissen können bedarfsge­recht und gezielt sowohl Förderun­gen als auch Lehrwerke verbessert werden.

Prof. Sambor Grucza stellte drei Projekte vor.

1) „Eye Tracking Monitoring der Entwicklung von Translationskompetenzen im Bereich Blattdolmetschen“. Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer Methodik des Monitorings der Entwicklung von Translationskompetenzen im Bereich Blattdolmetschen bei der akademischen Ausbildung von Dolmetschern. Mit Methodologie wird hier sowohl das Vorbereiten entsprechender Texte, das Durchführen von Eye Tracking Untersuchungen, sowie das Auswerten von Eye Tracking Daten gemeint. Das Projekt bezieht sich auf Englisch, Deutsch, Russisch und Italienisch.

2) „Eye Tracking Analyse der glottodidaktischen Usability von Lehrwerken English als Fremdsprache für Dyslexie-Schüler“. Obwohl verschiedene Entwicklungsstörungen seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Überlegungen sind, hat bisher, soweit wir wissen, noch niemand die Frage beantwortet, ob und in welchem ​​Ausmaß Entwicklungsdyslexie die Internalisierung von Fremdsprachenkompetenz beeinflusst. Das primäre Ziel der Untersuchung ist die Beantwortung von Fragen zum Zusammenhang zwischen neurobiologischen und kognitiven Determinanten der Dyslexie und der Fähigkeit, fremdsprachliche Kompetenz im schulischen Fremdsprachenunterricht zu erforschen. Das Projekt hat eine interdisziplinären, linguistisch-psychologischen, Charakter.

3) „VR und Entwicklung von Fremdsprachenkompetenzen. Grundlagenforschung“. Ziel des Projekts ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Möglichkeiten der Nutzung von virtueller Realität im Prozess der Kompetenzbildung im Bereich der Fremdsprache zu erwerben. Fundamental für das Projekt ist die Beobachtung, dass VR viele Sinne gleichzeitig beeinflusst. Nach der Installation der VR-Brille kann sich der Benutzer uneingeschränkt in der virtuellen Welt umsehen – er hat ein größeres Sichtfeld, das seine digitale Erfahrung vertieft. Er ist eingetaucht, kann sich bewegen, bestimmte Aktionen mit einem Joystick steuern, sprechen, Aufgaben ausführen. VR-Brillen erhöhen den Realismus von Erfahrungen, einschließlich pädagogischer, und diversifizieren sie. Die ersten durchgeführten Experimente beweisen, dass das Training in der virtuellen Realität Ihnen ermöglicht, die Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die Sie benötigen, um bestimmte Kommunikationsaufgaben in der realen Realität effizient auszuführen.

Magdalena Olpińska-Szkiełko und Anna Antoniuk präsentierten das Projekt „The neurobiological basis of foreign language learning“. Ziel des Projekts ist es, ausgewählte sprachliche Aktivitäten – vom Standpunkt ihrer Effektivität im Prozess des Fremdsprachenlernens aus – mithilfe des fMRI zu vergleichen und zu evaluieren. Es wurde bereits eine Pilotstudie mit 8 Freiwilligen durchgeführt, die folgende Ergebnisse brachte: Alle drei Aufgaben aktivieren ein “sprachliches Netzwerk“ im Gehirn (language network), das aus inferior frontal gyrus (IFG), anterior und superior temporal gyrus (STG) besteht. Das IFG spielt eine bedeutende Rolle in der sprachlichen Produktion: Verarbeitung des phonologischen Inputs und der lexikalischen Information. Das STG ist in die lexikalisch-semantische Kategorisierung involviert. Die gemeinsame Aktivität von IFG und STG ermöglicht die Produktion von sinnvollen Sätzen.

Ein direkter Vergleich von der Reproduktion von isolierten Sprachstrukturen und kohärenten Texten ergab, dass beim Reproduzieren von Texten eine erhöhte Aktivität im middle und superior temporal gyrus sowie im supramarginal gyrus in der linken Hemisphäre stattfindet. Diese Regionen sind verantwortlich für die Verarbeitung des sprachlichen und semantischen Gedächtnisses, das Erkennen von phonologischen Wortformen, die semantische und syntaktische Verarbeitung sowie für multimodale Sinnesintegration. Eine ähnliche Aktivität wurde während des freien Sprechens (zusätzlich mit anderen Gehirnregionen, die bei den anderen zwei Aufgaben nicht aktiviert wurden) beobachtet.

Innerhalb ihrer vielfältigen Forschungen zur interkulturellen Kommunikation konzentrierte sich Prof. Silvia Bonacchi auf sprachliche Höflichkeit, eine grundlegende interaktionelle Ka­tegorie, deren einzelsprachliche Ausprägungen Selbst- und Fremdbilder sowohl bestätigen als auch bedrohen können. Welche sprachlich realisierten Handlungen in welchen Rollen­konstellationen erwünscht sind oder abgelehnt werden, ist in verschiedenen Sprach- und Kul­turgemeinschaften verschieden. Mehr noch: Ob Höflichkeit als unterkühlte Distanz oder respektvoller Abstand empfunden wird, prägt die emotionalen Einstellungen der Partner. In­so­fern liegt die Verbindung zwischen sprachlicher Höflichkeit einerseits sowie Sprache und Emotion an­dererseits offen auf der Hand.

Beim ersten LiNaWo in Warschau 2016 hatten Nachwuchsforscher ihre Projekte präsentiert und zur Diskussion gestellt. Ein Jahr später wurde in Saarbrücken von Durchbrüchen und Holzwegen berichtet. Über Einzelfragen hinausgehend, zeichneten sich aber auch gemein­same Bereiche ab, die bei einem weiteren Treffen genauer unter die Lupe zu nehmen waren, um das Feld für mögliche Kooperationen abzustecken. Gefördert werden die Workshops durch das Ostpartnerschafts-Programm des International Office.