Text und Fachtext in Theorie und Praxis – so lautete der Titel einer binationalen, germanistisch-linguistischen Lehrveranstaltung zu Beginn des Sommersemesters 2019. Konzipiert und ausgerichtet wurde das Pilot-Projekt von der Fachrichtung Germanistik der UdS sowie vom Institut für Fach- und Interkulturelle Kommunikation der Universität Warschau. Organisatorische und finanzielle Unterstützung leisteten die International Offices der beiden Universitäten im Rahmen ihres Kooperationsprogramms. Um weltoffenen Studierenden die einzigartige Möglichkeit zu bieten, an dieser interkulturellen Begegnung teilzunehmen, hatten Dr. Iwona Jacewicz und Dr. Josef Schu über Monate eng zusammengearbeitet. Was zunächst nur nach einem interessanten Studienangebot klang, entwickelte sich zu einem universitären Höhepunkt für die Teilnehmenden und wird als solcher in Erinnerung bleiben.
Die Warschauer Studierenden kamen am Sonntag, dem 31. März 2019, in Saarbrücken an, wo sie von einem Empfangskomitee herzlich begrüßt wurden. Um ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, wurden sie ins Hotel begleitet und auch am nächsten Morgen bei der Busfahrt zum Campus nicht allein gelassen. Während die polnischen Studierenden noch unterwegs waren, liefen die Vorbereitungen im Seminarraum schon auf Hochtouren: Kaffee und selbstgebackener Kuchen wurden angerichtet, Präsente für die Gäste wurden ausgelegt, und die Sitzordnung wurde so gestaltet, dass die insgesamt 19 Studierenden gemischt nach Nationalitäten saßen. Prof. Dr. Ingo Reich nahm sich am ersten Morgen die Zeit, die Veranstaltung zu eröffnen und insbesondere die Warschauer Gäste willkommen zu heißen. Nach einer Vorstellungsrunde begann der erste Block des akademischen Teils, der – bis auf einen Vortrag am Mittwoch von Prof. Dr. Reich zum Thema „Ellipsen“ – von Dr. Josef Schu gestaltet wurde. Im Laufe der Woche führte er die Studierenden in die Grundlagen von Text, Fachtext sowie Text und Bild ein. Gemeinsam wurden Textualitätsmerkmale erarbeitet, Text und Fachtext unterschieden, der Zeichenbegriff geklärt und Kohärenz in Form einer Mindmap erläutert. Die gut durchdachte Sitzordnung förderte den regen Austausch zwischen Warschauer und Saarbrücker Studierenden. Anhand von Materialien wurde in Kleingruppen oder Partnerarbeit diskutiert; Sprachbarrieren gab es kaum, da das Deutsch der Gäste zumeist ausgezeichnet war. So konnte jeder wichtige Beiträge zu den einzelnen Themen leisten. In der Kaffeepause bewegte sich der nationenübergreifende Austausch eher in Richtung „Privates“, und erste Bekanntschaften wurden geknüpft. Dieser Rhythmus aus intensiver fachlicher Zusammenarbeit, Erarbeitung und Diskussion im Plenum und einer entspannten Kaffeepause zog sich durch die gesamten zwei Wochen. Am Dienstagmorgen bildete ein Kommunikationsmodell, das gemeinsam entwickelt wurde, den Ausgangspunkt. Bei der praktischen Anwendung wurden Text und Gespräch miteinander verglichen und Klassifikationsmöglichkeiten für Schriftlichkeit und Mündlichkeit erarbeitet. Mittwochs bot Prof. Dr. Ingo Reich den Studierenden einen Einblick in den Themenkomplex der „Ellipsen“. An verschiedenen Textsorten wurden in Gruppenarbeit Ellipsen identifiziert und im Plenum kategorisiert. Dr. Josef Schu gab den Studierenden danach ein Textsortenschema an die Hand, das tags darauf an so unterschiedlichen Textsorten wie Todesanzeigen oder WhatsApp-Chats erprobt wurde. Am Donnerstag lag der Fokus auf dem Verhältnis von Text und Bild, dessen Vielfalt an Werbeplakaten und Zeitungstexten intensiv erkundet wurde.
Thema interessant und durch das kooperierende Institut gut aufgegriffen und weitergeführt. (Anonyme Evaluation)
Neben dem fachwissenschaftlichen Austausch und der Zusammenarbeit wurde auch darauf geachtet, dass die polnischen Gäste einen kulturellen Eindruck von der Region erhielten. Gemeinsam wurde „saarländisch“ zu Abend gegessen und die saarländische Küche von „Gefillde“ bis „Lyoner“ auch sprachlich erkundet; das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen wurde besucht; und Saarbrücken konnte in der freien Zeit individuell besichtigt werden. Der Freitag war als letzter Tag für einen Besuch der alten Römerstadt Trier reserviert. Die gemeinsamen außeruniversitären Aktivitäten führten dazu, dass die polnischen Studierenden einen besseren Einblick in die deutschen Gegebenheiten erhielten und ihre Sprachkenntnisse verbessern konnten. Die deutschen Studierenden versuchten, schon einige polnische „Brocken“ zu erlernen, insgesamt aber waren alle einfach nur froh, Zeit miteinander zu verbringen und sich besser kennenzulernen. Die Fahrt nach Trier markierte den Abschluss der gemeinsamen Zeit in Deutschland. Der Abschied war kurz und leicht, da sich alle Seminarteilnehmer nach dem Wochenende wiedersehen würden.
Am Montagmorgen waren die Saarbrücker Studierenden motiviert und gespannt auf die noch fremde polnische Hauptstadt sowie auf die nächsten Tage. In Warschau warteten polnische Kommilitonen am Flughafen und begleiteten die deutsche Reisegruppe zu ihrem Hotel. Die Zimmer wurden bezogen, und in einem nahegelegenen Einkaufszentrum wurde Euro gegen Złoty getauscht, zusammen zu Abend gegessen und Bekanntschaft mit polnischen Süßigkeiten gemacht. Danach zogen sich alle auf die Zimmer zurück, da der Tag lang war und man für die nächsten Tage ausgeruht sein wollte.
Um acht Uhr holten polnische Kommilitonen die deutschen Gäste ab, und mit öffentlichen Verkehrsmitteln ging es zum Institut, in dem die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen der zweiten Woche stattfanden. Den Auftakt machte ein Vortrag über Eye-Tracking und die damit verbundene Text-Bild-Rezeption. Einige Freiwillige hatten Gelegenheit, an einem kurzen Experiment teilzunehmen. Die gewonnenen Daten wurden von zwei Doktoranden während der Kaffeepause ausgewertet und anschließend im Plenum präsentiert, analysiert und diskutiert. Nach dem sehr faszinierenden akademischen Teil aßen alle gemeinsam in der Mensa zu Mittag und man stärkte sich für die Altstadtbesichtigung. Dr. Jacewicz führte die Gäste in Begleitung von fast allen polnischen Kommilitonen über den innerstädtischen Campus der Warschauer Universität und zu der modernen Universitätsbibliothek. Deren Dachgarten überraschte mit atemberaubenden Ausblicken: das Weichseltal auf der einen Seite und auf der anderen die Skyline einer 1,7-Millionen-Einwohner-Metropole. Am späten Nachmittag übernahm Dr. Agnieszka Dickel die Leitung und gestaltete die offizielle Altstadtführung. Sämtliche deutschen Studierenden waren sich innerhalb von kurzer Zeit einig, dass Warschau wesentlich mehr zu bieten hat, als ihnen am Anfang bewusst war. Dr. Dickel weckte großes Interesse an der Warschauer Geschichte, wies auf Kleinigkeiten hin, die gewöhnlichen Touristen verborgen geblieben wären, und machte sogar einen Stopp vor der St.-Jacek-Kirche, in der Dr. Schu geheiratet hatte. Dass es möglich war, auch persönliche Seiten des Dozenten zu sehen, und dass alle respektvoll, offen und herzlich miteinander umgingen, spricht für die wertvolle Atmosphäre, die in dieser gemeinsamen Zeit entstanden ist.
Für weitere Seminare dieser Form wäre es schön, etwas mehr Zeit einzuplanen, um den Studierenden mehr Zeit zur freien Verfügung zu geben. Ein Vorab-Crashkurs mit den wichtigsten polnischen Wörtern wäre hilfreich gewesen. (Anonyme Evaluation)
Am Mittwochmorgen stellte Prof. Dr. Silvia Bonacchi das Thema „Multimodalität bei Fachtexten“ am Beispiel von FameLab-Videos vor. Illustriert wurde die Theorie mit praktischen Übungen, in denen die Unterschiede zwischen Vorträgen von L1- und L2-Sprechern analysiert wurden. Am Nachmittag stand auf dem Kulturprogramm das „Museum des Warschauer Aufstandes“, wo sich jeder selbstständig mit der realitätsnah präsentierten Geschichte beschäftigen konnte. Im Vorfeld der Reise war die Frage aufgekommen, ob man sich wirklich mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus in Warschau auseinandersetzen sollte. Spätestens nach dem Besuch des Museums, das die Geschichte anschaulich und greifbar aufbereitet und multimedial präsentiert, waren sich alle einig, dass es sinnvoll war, einen Nachmittag damit zu verbringen. Nach einigen Stunden, die frei zur Verfügung standen, traf man sich abends im Restaurant des Hotels, um zusammen zu essen und Karten zu spielen.
Am Donnerstag wurden zwei Vorträge gehalten. Zunächst stellte Prof. Dr. Magdalena Olpińska-Szkiełko Fachtexte aus Sicht der anthropozentrischen Sprachtheorie vor. Danach behandelte Dr. Reinhold Utri plurizentrische Fachtexte und legte den Fokus auf das österreichische Deutsch. Die praktischen Übungen waren amüsant gestaltet, vor allem, als Können und Kunst gegenwärtiger österreichischer Liedermacher ins Spiel kamen. Nach dem Mittagessen begleitete Dr. Jacewicz die Gruppe zum Altstadtmuseum, und die nächsten Stunden wurden damit verbracht, sich in den Winkeln eines wiederaufgebauten Häuserkomplexes zurechtzufinden, um schließlich ins Dachgeschoss zu gelangen, von wo aus man einen unerwarteten Weitblick über die Altstadt genießen konnte. Auf dem Weg zum Café „Wedel“, das für die polnische Schokolade berühmt ist, wurde noch das Grab des unbekannten Soldaten besucht und am Denkmal zum Flugzeugabsturz von Smolensk im Jahr 2010 gehalten, wo auch politische Hintergründe zu erläutern waren.
Wichtig für Studenten, die sich mit fremden Kulturen, d. h. deren Aspekten, Elementen, Zusammenhängen, Ähnlichkeiten und Unterschieden beschäftigen wollen. (Anonyme Evaluation)
Der letzte gemeinsame Tag in Warschau wurde fachlich von Dr. Jacewicz gestaltet, die die kontrastive translatorische Fachtextanalyse vorstellte und sie auf eine Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anwenden ließ. Die Vielschichtigkeit, die beim Übersetzen beachtet werden muss, war beeindruckend. Zum Abschluss des zweiten Veranstaltungsblocks wurden kleine Geschenke an Dr. Jacewicz und Dr. Schu überreicht. Zwar konnten diese nur ansatzweise ausdrücken, wie dankbar die Studierenden waren, Teil eines solchen Erlebnisses sein zu dürfen, aber die Hoffnung, dass das dennoch vermittelt werden konnte, war offensichtlich nicht unbegründet. Der Nachmittag stand zur freien Verfügung, bevor sich Warschauer und Saarbrücker abends noch einmal bei polnischen Spezialitäten trafen.
Samstags reisten die deutschen Gäste zurück, im Gepäck nicht nur die besorgten Mitbringsel, sondern auch eine Fülle nachhaltiger Eindrücke – weil Dr. Schu es geschafft hatte, seine Begeisterung für Land und Leute den Studierenden zu vermitteln. Zudem stand für alle (Linguistinnen und Linguisten) fest, dass „Auf Wiedersehen“ nicht wie üblich, sondern wörtlich zu verstehen war. Denn Warschau ist eine wirklich mitreißende Stadt, die stets aufs Neue begeistern kann und die es sich mehrmals anzuschauen lohnt. Jedoch sind es die zwischenmenschlichen Begegnungen, die diese Zeit so wertvoll gemacht haben. Für diese zufällig zusammengewürfelte Gruppe wurde das gemeinsame Erleben zu einem absoluten Höhepunkt in ihrer Zeit an der Universität, der nicht mehr vergessen wird.
Text: Anna Katharina Koschela / Foto: Dr. Iwona Jacewicz